Bolivien ist ein wahres Naturparadies und deswegen ging es auch hier auf zum Wandern. Als erstes Ziel stand zusammen der Pico Austria auf dem Programm. Ja der Berg heißt wirklich so, denn anscheinend war ein Österreicher der Erstbesteiger. Mit dem Auto ging es auf 4500m auf ein Plateau. Von der Stadt war schnell nichts mehr zu sehen und um uns waren nur noch grüne Felder, Kühe und Menschen die Kartoffeln ernteten. Wir lernten José, unseren Fahrer kennen, dieser erzählte uns im Laufe des Tages viele spannende Geschichten über Land und Leute in Bolivien. Wir erfuhren so von einem jährlichen Kampf zwischen zwei Männern aus unterschiedlichen Dörfern. Dieser Kampf sei für die Mutter Erde (Pachamama) und könne auch tödlich enden. Wir waren erst einmal still, als wir so etwas erzählt bekamen. Unvorstellbar, dass die Dorfbewohner dies unterstützen. Aber auch Geschichten über Minenarbeiter erzählte er uns. Diese glauben an den Teufel „el tio“. Um nicht selbst ein Opfer des Teufels zu werden und um erfolgreich zu sein müssen eben, so der Glaube, Opfer gebracht werden. Was uns dann José erzählte konnten wir nicht fassen. Es soll Fälle geben bei denen die Minenarbeiter Obdachlose zum Essen einladen, sie schön kleiden, betrunken machen und anschließend in den Minen begraben. Uns stand der Mund ziemlich weit offen. José machte verständlich, dass solche Denkweisen vor allem auf den Land vorherrschen.
José gab beim Gehen ein ordentliches Tempo vor. Dieser war schließlich die Höhe gewöhnt, ganz anders als wir. Wie mit zwei Klötzen an den Füßen, stiefelten wir in Zeitlupe nach oben. Auch die Atmung war nach nicht einmal zehn Minuten so schnell, sodass dieser Ausflug einem Halbmarathon in Bestzeit glich. José hüpfte rum wie eine Gazelle und erklärte uns nebenbei etwas über die Umgebung. Nicht nur er sondern auch Lamas hüpften neben dem Weg umher, während die Sonne den Bergsee zum schimmern brachte.
Statt Wasser hatte José immer Cola dabei! „My poison“, kicherte er vor sich her, bevor er einen Minischluck davon nahm. Schon das alleine machte ihn sehr sympathisch. Hechelnd versuchte ich mit ihm mitzuhalten, als es immer steiler wurde. Wir hatten natürlich keine Chance. Er sagte immer „Find your pace!“. Diesen Satz hörte ich die nächsten Tage noch ziemlich oft und am Schluss fand ich tatsächlich mein Tempo und verstand was er meinte. Anderes als zu Hause geht es hier eher um regelmäßige und langsame Schritte, sodass man von der Höhenkrankheit verschont bleibt. Je langsamer wir gingen, desto leichter wurde es. Je höher wir gingen, desto schwerer. Also ein ziemlicher Teufelskreis, meiner Meinung nach! Nach vier Stunden erreichten wir endlich den Gipfel auf 5350 Meter. Flo musste sich erst einmal hinsetzen, weil ihm so schwindelig war. Oben angekommen wurde es schnell ungemütlich. Die Sonne verschwand und es begann zu schneien. José erklärte uns wie unberechenbar das Wetter auf dieser Höhe ist. Zu unserer Belustigung waren wir nicht die einzigen Europäer die sich auf diesen Gipfel verirrten. Nach nicht einmal fünf Minuten auf dem Gipfel hörten wir einen Wiener Dialekt. „Heast, hot do kana a Bier eiküht?!“ Das ist ja fast wie zu Hause, dachten wir uns und schmunzelten! Nach einem kurzen Smalltalk war es Zeit für den Abstieg. Wie auf Skiern durften wir nach unten gleiten, denn der halbe Berg bestand aus einem Geröllfeld. Jetzt hüpften auch wir endlich wieder rum und konnten die Aussicht noch einmal in vollen Zügen genießen. Auf der Heimfahrt gab José uns noch eine Kostprobe seiner Lieblingssongs aus den 80iger Jahren und trällerte vor sich hin ohne den Text richtig zu kennen. Aber auch traditionelle Musik ließ er uns hören und als wir dann noch eine Cholita per Anhalter mitnahmen war der Moment perfekt. Sie erklärte uns wie wir zur Musik tanzen müssten und dass der Hut hierbei immer schief getragen werden sollte. Außerdem versuchte Sie uns das ein oder andere indigene Wort in der Sprache Aymara beizubringen, diese blieben natürlich nicht lange hängen. Zu Viert saßen wir also mit lauter Musik und ersten bolivianischen Tanzversuchen im Auto und genossen die letzten Sonnenstrahlen des Tages.
„Soll ich es machen oder nicht?“ ging mir diesen Abend noch ziemlich oft durch den Kopf. José erklärte mir welche Hochtourenmöglichkeiten Bolivien zu bieten hat. Diese waren oft nur zwei Stunden entfernt und umfassten meist eine Höhe von mehr als 6000 Meter. Solche Höhen kannte ich bis jetzt nur aus dem Fernsehen. Doch hier schienen diese Zahlen nichts Besonders zu sein. Nachdem ich bereits zu Hause Erfahrung gesammelt hatte, reizte mich natürlich die Idee einen höheren Berg zu besteigen. Letztendlich ließ mich der Gedanke nicht los. „Wann hat man denn schon wieder die Zeit sich so lange zu akklimatisieren!?“ fragte ich mich. Ich entschied mich für den bekanntesten und leichtesten 6088m hohen Berg names Huayna Potosi. Dieses gigantische Eismassiv konnte schon von der Stadt aus gesehen werden und wird gerne als der Mount Everest Boliviens bezeichnet. Warum erfuhr ich später. Also fasste ich all meinen Mut zusammen und ging alle theoretischen Inhalte zum Thema „Hochtouren“ in meinem Kopf durch. Steigeisen-Gehtechnik, Gehen am Seil, Knotenkunde, Spaltenbergung und vieles mehr war noch tief in meinem Hinterstübchen vergraben. Das Wetter war perfekt, einen besseren und sympathischeren Bergführer hätte ich nicht bekommen können und ich war fit. Ein eindeutiges Go für meinen ersten wirklich hohen Berg. Es konnte los gehen!
Morgens stand José wieder mit einem breiten Grinsen auf der Matte. Natürlich mit einer diesmal doppelt so großen Coca Cola Flasche im Gepäck. Bei der Hinfahrt hieß es wieder lauthals zu den Best Ofs der 90iger mitzusingen, sodass die Motivation für die nächsten Tage stetig stieg. Nach einem ausgiebigen Materialcheck und der drei stündigen Anfahrt über Stock und Stein, standen wir am Basecamp auf knapp 4500m. Hier traf ich eine Engländerin die mir erklärte, dass Sie auch auf diesen Berge gehen würde und morgen mit „speziellen Dingern“ an den Schuhen üben würde. Ich bekam also schon vor unserer eigentlichen Wanderung einen Vorgeschmack, dass hier einige Leute ziemlich grün hinter den Ohren probierten Höhenluft zu schnuppern. Ich war baff, hatte ich mir viel zu viele Gedanken gemacht? Und war es denn gar nicht so schwer auf einen 6000m hohen Berg zu gehen? Dies sollte sich die nächsten zwei Tag noch herausstellen!
Nach einer Stärkung stiegen wir über felsiges, abschüssiges Gelände zum Hochcamp auf 5300m. Ziemlich flott waren wir zwei unterwegs und erreichten bereits am Nachmittag die, an einem Felsvorsprung gelegene, Blechhütte. Die Aussicht war atemberaubend. Sonniges Wetter und unter uns ein Wolkenmeer, besser ging es nicht! Endlich sah ich auch unser morgiges Ziel aus der Nähe und blickte mit Respekt in Richtung Gipfel. Gletscherzungen und Spalten soweit das Auge reicht und eine steile Flanke die fraglich machte, wo es denn eigentlich hinauf gehen sollte. José ging mit mir die Route einmal durch und kochte anschließend Suppe und Hühnchen für uns zwei auf einem kleinen Gasherd. Zwischendurch genoss ich die Aussicht und bereitete mein Nachtlager für diesen Abend vor. Ich lernte zwei Extrembergsteiger aus Polen kennen, die die etwas schwierigere Route auf den Huayana Potosi für Morgen geplant hatten. Wir tauschten viele Geschichten aus und wurden nebenbei von José, wie sollte es auch sonst sein, mit Gesang von Michael Jackson verwöhnt. Mit großen Augen hörte ich den Erzählungen der beiden zu, deren Freunde sogar schon auf dem berühmten K2 waren. Sie erzählten mir von ihren Erfahrungen mit der Höhenkrankheit, gaben mir Tipps und berichteten von einem selbst erlebten Lungenödem auf 5000m. Jetzt hatte ich noch mehr Respekt und wusste das hier eher der Weg das Ziel war!
Die Bettruhe war bereits um sechs Uhr abends. Mit Hilfe einer dicken Wolldecke, einem speziellen Schlafsack und einer selbstgebastelten Wärmflasche wurde es wohlig warm. Leider konnte ich trotzdem kein Auge zu machen, denn die Höhe hatte mich ordentlich im Griff. Mein Ruhepuls war bei 110 pro Minute und die Atmung war sichtlich schwerer. Hinzu kam noch das Gefühl hellwach zu sein, obwohl ich hundemüde war. Achja da war noch der anhaltende Schwindel, diese wurde jedoch nach fast fünf Liter Wasser und permanentem Toilettengang besser. Alles völlig normal auf dieser Höhe, erklärte man mir. So schön auch der klare Sternenhimmel war und die Milchstraße leuchtend über mir erschien, hätte ich mir doch ein bisschen mehr Schlaf gewünscht. Dem war leider nicht so. Jede Stunde sah ich auf die Uhr und hoffte, dass es bald Mitternacht wurde. Denn um ein Uhr in der Nacht war der Beginn des Aufstiegs geplant. Warum mitten in der Nacht? Ganz einfach die Lawinengefahr bei dieser Hochtour wäre mit der Sonne zu hoch gewesen.
Kurzes Frühstück, warm eingepackt, Helm auf und Stirnlampe an, los ging’s. „Are you ready?“ fragte mich mit bester Laune José. Und ich dacht mir, und wieeeee! Hinein in die Finsternis! Die erste halbe Stunde kletterten wir über Felsen. Jeder Tritt sollte hier der Richtige sein. Ich konnte nur erahnen wie tief es runter ging und bemühte mich trotz müder, geschwollener Augen trittsicher zu sein. Immer mit dem beibehalten des gleichmäßigen Tempos. Dies klappte ganz gut und schnell erreichten wir den Gletscherbeginn. Hier sahen wir bereits kleine gelbe Punkte den Berg hinauf wandern. Diese Punkte waren andere Gruppen, die bereits eine Stunde früher in einem höher gelegenem Camp starteten. Anseilen und Steigeisen anziehen hieß es dann. Im Schneckentempo ging es so Schritt für Schritt immer steiler bergauf. So steil dass wir seitwärts gehen mussten um Halt am eisigen Boden zu finden. Völlig falsch eingeschätzt, waren wir gar nicht so langsam unterwegs und holten zu meiner Überraschung nach ca. einer Stunde die ersten Gruppen ein. Dies war mir ganz recht, denn das Gelände wurde immer steiler und das Verwenden der Eispickel war notwendig. Plötzlich hörten wir einen heftigen Knall und schnell wurde klar, dass musste eine Lawine gewesen sein. Leider sahen wir nicht von wo aus diese genau kam und konnten nur erahnen, dass Sie in der Nähe sein musste. Bei dem Abstieg (was auch auf dem obersten Foto sichtbar ist) sahen was für ein Glück wir hatten. Direkt neben uns löste sich ein ganzes Schneebrett. Viele Menschen an einem sehr steilen Hang sind typische Auslöser für solche Situationen, weshalb ich nach dieser Tour den Übertourismus in den Bergen noch kritischer sehe. Wir hatten Glück, das braucht man anscheinend im Leben! Nicht nur diese Situation war für mich mental eine Herausforderung. Auch das Gewitter im Hintergrund, das auf fast 6000m ziemlich einschüchtern wirkte, beunruhigte mich. Ich erfuhr jedoch, dass dieses Gewitter im Bereich des Regenwaldes war und so weit entfernt lag, dass dieses keine größere Gefahr für uns darstellte. Jedoch kann man sich vorstellen, dass die Atmosphäre ziemlich gruselig wirkte. Im stockfinsteren den Eispickel mit voller Wucht in die Wand zu rammen, vorbei an Gletscherspalten zu gehen, den Abgrund nicht zu sehen und als Tüpfelchen obendrauf Blitze zu beobachten.
José wusste immer was er sagen musste und wir wurden bald ein eingespieltes Team. Trotz der Herausforderungen oder gerade wegen diesen, fühlte ich mich unglaublich lebendig und war sehr glücklich im Moment. Die Konzentration galt nur noch meiner Atmung, den knirschenden Schritten im Schnee und dem baumelnden Seil zwischen uns. Alles andere war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr im Kopf präsent. Bald hatten wir alle anderen Gruppe ganz unbewusst überholt. Wir gelangen zum letzten sehr steilen Stück nach vier Stunden. Hier brauchte ich noch einmal einiges an Mut. Mit dem Eispickel als Gehstock oder als Axt hantelten wir uns Schritt für Schritt nach oben. Eine schmale Spur zeichnete den Weg. Immer wieder fielen kleine Schneeklumpen an uns vorbei. Dieser „Weg“ war leider nur einen Fuß breit, sodass das Überkreuzen der Beine und das Einschlagen des Eispickels in einem regelmäßigen und sicheren Stand erfolgen musste. Dann kam meine Lieblingsstelle. Ein felsiger extrem steiler Teil mit Eis. Noch nie hatte ich einen Eispickel am Fels verwendet. José sprach mir gut zu und unterstützte mich mit einen festen Zug am Seil. Mein Herz machte eine Sprung und dann war es fast geschafft. Das Knirschen unter den Beinen war schon fast zu einer mentalen Musik für mich geworden und das Fixieren auf den dünnen Pfad brachte mich entspannt zum Gipfel ohne dem abschüssigen Hang Beachtung zu schenken. José erklärte mir, dass man normalerweise länger auf den Gipfel braucht. So standen wir ganz oben ohne Sonnenaufgang. Wir waren einfach zu schnell, stellten wir lachend fest und fielen uns in die Arme. Nach ein paar Fotos von der in der Ferne glitzernden Stadt El Alto, hieß es auf zum Abstieg. Der Gipfelgenuss hielt sich sowieso in Grenzen, zu kalt war es hier oben auch ohne Wind.
Wir sahen dann die andere Gruppen, die sich wesentlich schwerer taten und sich mit teilweise heftigster Atmung und aller größter Mühe nach oben schleppten. Wenigsten bekamen sie den Sonnenaufgang zu sehen! Wir erlebten den wunderschönen Sonnenaufgang bei dem Abstieg. Ich sah mir die Gletscherspalten, die nun in einem hell leuchtendem blau erstrahlten, genauer an und entdeckte die in der Nacht abgegangenen Lawine. Von Weiten sah ich dann noch; die am Abend kennengelernten; Polen. Diese kraxelten in einem unfassbar steilen Gelände hoch und waren schätzungsweise eine Stunde nach uns auf dem Gipfel. Völlig aufgedreht und sehr müde erreichte ich am Nachmittag La Paz. Flo drückte mir einen Blumenstrauß in die Hand und hörte sich diese und noch mehr unglaubliche Eindrücke der letzten Tage an. Schön wieder unten zu sein!
Hier gibts die Bilder zur Geschichte
Interessante Fakten
- Die Cordillera Real Bergkette hat sieben Sechstausender Berge. Der höchste Berg dieser Kette ist der Illimani mit 6462m Höhe.
- Der höchste Berg vulkanischen Ursprungs in Bolivien ist der 6542m hohe Sajama.
Vor einer Hochtour sollte ein mehrtägiger Aufenthalt in großer Höhe und/oder eine Akklimatisierungswanderungen unternommen werden.
Es gibt unzählige Firmen die Wanderungen/Hochtouren anbieten. Leider wird hier immer wieder der Erfahrung und dem Können wenig Beachtung geschenkt!
Der Huayna Potosi wird als einfacher 6000er bezeichnet. Dies ist sicherlich zutreffend. Jedoch sollte meiner Meinung nach immer alpine Erfahrung vorhanden sein! CAVE: Alpine Gefahren wie Lawinen, Steinschlag, Absturzgefahr etc.
Es werden im Voraus Kurse zum Thema Eisklettern angeboten. Diese sollten bei mangelnder Erfahrung unbedingt wahrgenommen werden!
Andere Touren in der Umgebung sollen weniger überlaufen sein!
Echt ein Wahnsinn, dies alles zu erleben. Gott sei Dank mit gesunder Heimkehr!