Wir verließen unseren Touristenkokon und lernten endlich das echte Bolivien kennen. Eddy setzte uns am Busbahnhof ab und da standen wir mitten im Gewusel. An jeder Ecke wurden die Angebote des Tages lauthals verkündet. „Cotschabambaaaaaaaaa“ und viele weitere Ortschaften hallten in unseren Ohren und das genau genommen vier Stunden lang. Unser Gepäck ließen wir in einem Nebenraum der Busagentur stehen. Hier saß eine Kaugummi kauende und lautstark Serien schauende Angestellte und „bewachte“ die Gepäckstücke der Passagiere. Immer nur kurz sah sie auf, wenn jemand ihr ein Ticket vor die Nase hielt oder etwas kaufen wollte. Dieser motivierte Einsatz beunruhigte mich und so sah ich immer wieder selbst nach, ob denn unser Gepäck noch an Ort und Stelle war. Die Einheimischen waren nicht so vorbereitet und suchten spontan nach den besten Busangeboten, dabei wurden Säcke voller Kartoffeln oder andere Lebensmittel mit Karren herumgeschleppt oder ganz traditionell auf dem Rücken mithilfe eines Tuchs getragen. Ein zugedröhnter Mann wurde abgeführt und Leute gingen vorbei, die deutlich mehr Interesse an unseren Rucksäcken und Handys hatten, als an uns. Hier kam die Ich-schnalle-mir-den-Rucksack-um-die-Beine-Technik zum Einsatz. Außerdem waren wir wie schon oft dankbar für unsere eingenähten Innentaschen.

Es liefen etliche Kinder am Busbahnhof umher, denn schließlich mussten Mama und Papa rund um die Uhr arbeiten. Das Büro wurde so zum Wickeltisch, der Gang zum Spielplatz und am Boden der öffentlichen Toilette lag ein Baby zwischen dem Putzmittel und den Beinen der Kassiererin. Was für uns vielleicht befremdlich wirkte, ist hier völlig normal. Das Motto so viel und so lange arbeiten wie es geht, gilt hier für Viele in Bolivien! Der Grund dafür ist die Tatsache, dass das Rentengeld nicht ansatzweise für das Leben im Alter reicht und so selbst lange vorgesorgt werden muss. In Europa freuen sich die Menschen, wenn sie früher in Rente gehen können, hier in Bolivien sieht man das ganz anders. Jeder will so spät es geht in die Rente und für das gehen die Menschen sogar auf die Straße. Wir sahen in Sucre einen Protest, der sich diesem Thema annahm. Im Alltag spiegelt sich dieses Thema wider, in dem es keine Seltenheit ist, achtzigjährige Chipsverkäufer, die fast nicht mehr stehen können, am Straßenrand vorzufinden oder deutlich ältere und kranke Menschen sitzend vor der Kirche zu sehen, die um Kleingeld für das alltägliche Leben betteln.

Als Flo am Busbahnhof etwas zu trinken besorgte, setzte sich eine alte mollige Dame neben mich. Sie trug die traditionelle indigene Kleidung, hatte langes schwarzes Haar, das zu zwei Zöpfen geflochten war und sah mich neugierig mit großen Augen an. Sie war sehr interessiert an meiner Person. So tauschten wir uns aus, woher wir kommen und wie wir heißen. Als dann Flo dazu stieß, beantworteten wir ihre Fragen, ob es denn eine Wüste in Deutschland gäbe, was wir alles anbauen können, welches Fleisch wir essen und wie teuer das Leben bei uns zu Hause sei. Belustigend fand sie außerdem deutsche Wörter, als wir ihr erklärten, wie manche Dinge bei uns zu Hause heißen. Der Begriff Fahrrad war hier der Spitzenreiter. In diesem Gespräch wurde wieder einmal deutlich, wie unterschiedlich unsere Welten doch sind und was für eine Neugier auf beiden Seiten da ist.

Zum Glück organisierte uns unser Gastgeber in Sucre ein Taxi vom Busbahnhof aus zu unserer Wohnung.  Als wir dann aber unser Taxi sahen, staunten wir nicht schlecht. Hätten wir nicht das Kennzeichen und den Namen des Fahrers gewusst, wären wir hier sicherlich nie eingestiegen. Das Auto war eher ein Blechgerüst und wäre bei uns nur noch auf der Mülldeponie gelandet. Ganz vorsichtig schloss ich die Türe. Diese fühlte sich so an, als hätte ich sie gleich in der Hand. Im Inneren des Autos sah es nicht viel besser aus. Eine klapprige Hülle mit Lenkrad traf es am besten. Der Taxifahrer war außerdem keiner von der rücksichtsvollen Sorte und fuhr bereits los, als Flo noch nicht einmal seinen Fuß im Auto hatte. Beinahe wäre der zweite Fuß unter das Auto gekommen. Mit einem schnellen Satz ging es rein in das Auto und wir tuckerten durch die Stadt. Als es dann bergauf ging, ächzte der Wagen ordentlich. Gott sei Dank war die Fahrt kurz und mit großer Erleichterung erreichten wir die Unterkunft.

Die nächsten Tage hieß es, die Stadt zu erkunden. Glücklicherweise befand sich die Unterkunft direkt neben dem Mercado Central. Ein großer Markt in Sucre der wirklich alles, was das kulinarische Herz begehrt, anbot. Hinaus aus der Wohnung waren wir in einer anderen Welt. An jeder Ecke standen Straßenverkäufer, denn hier spielt sich das Leben auf der Straße ab. Supermärkte sind hier zu teuer, wie wir selbst spüren mussten. Schmuck, Kleidung, Essen, frische Säfte, Kuchen und vieles mehr kann direkt auf und neben der Straße gekauft werden. Durch die engen Gassen quetschen sich außerdem etliche Colectivos, sogenannte Sammeltaxis. Diese hupten, was das Zeug hält und wären bei uns zu Hause Oldtimer.

Zwischen den etlichen Menschen und Autos durchgequetscht, waren wir am Markt angekommen. Es dauerte keine Minute, als die ersten Verkäufer uns ihr Obst schmackhaft machen wollten. Natürlich war eine kleine Kostprobe inkludiert, ob wir das wollten oder nicht. Mit einem Messer schnitt uns die Verkäuferin, deren Hände sicherlich bei keiner hygienischen Inspektion durchkämen, ein Stückchen Mango und Drachenfrucht herunter. Wir konnten nicht widerstehen und schlugen zu, denn noch nie hatten wir so leckere Mangos gegessen! Die Kostprobe der Erdbeeren hingegen ging nach hinten los, denn leider merkten wir erst nach dem Verzehr, dass diese komplett verfault waren. Ich spuckte ein Stückchen reflexartig aus und anstatt, dass die Verkäuferin mir einen Mülleimer reichte, streckte sie mir ihre Hand wie einen Spucknapf entgegen. Mit einem Säckchen Früchte und OHNE die Erdbeeren schlängelten wir uns durch die Fleischabteilung. Hier gab es natürlich, wie immer, keine Kühlung weit und breit. Der Geruch war hier besonders streng. Da nahmen wir uns lieber kleine selbstgemachte Weißbrote für ein paar Cent und perfekte Avocados mit.

Mit vollem Kühlschrank sahen wir uns die darauffolgenden Tage die Stadt genauer an. Die wunderschönen weißen, kolonialen Bauten gefielen uns besonders gut. Der Plaza „25 de Mayo“, die Iglesia de San Felipe de Neri, das Freedom House, der Simón Bolívar Park, die Kathedrale von Sucre und viele andere Orte boten uns außerdem eine tolle Aussicht auf die Stadt. Es gab ein typisches Frühstück mit Salteñas, Teigtaschen mit einer Füllung aus Fleisch und Gemüse, traditionelle Tänze aufgrund des Stadtfestes und ein Besuch im Fitnessstudio und im Museum durften auch nicht fehlen. Flo besuchte zudem immer nachmittags die Spanischschule und ich plante weitere Abenteuer für die kommenden Monate. Und so verging eine entspannte und schöne Woche in Sucre. Wir sind bereit für den nächsten Stopp, La Paz! Hier haben wir so einiges vor, wir sind gespannt, was die quirlige Metropole so zu bieten hat.

 

Hier gibts die Bilder zur Geschichte

Interessante Fakten

  • Sucre liegt auf ca. 2800 m und ist für das angenehme und gemäßigte Klima bekannt.

 

  • Die Stadt hat viele Bauwerke im Kolonialstil, weshalb diese Stadt zu einer der schönsten Südamerikas zählt und zum UNESCO Weltkulturerbe.

 

  • Als Cholita werden Frauen aus Bolivien oder Peru bezeichnet die sich im indigenen Stil kleiden. Dazu gehören bis zu 10 Unterröcke, ein Überrock (pollera), ein Schultertuch (manta) und ein Hut. Wurden früher spanische Hütte getragen, haben sich seit 1920 eher männlich wirkende Hüte im Melonestil eingebürgert. Die Tracht ist je nach Region und finanziellen Mitteln verschieden.

 

Sucre ist für das große Angebot an Spanischschulen bekannt. Spanischunterricht kann hier sehr günstig und spontan vereinbart werden.

Supermärkte gibt es zwar in Bolivien, diese sind aber meistens sehr teuer. Lieber auf die lokalen Märkte und Straßenstände ausweichen.

Am Busbahnhof kann es schon mal chaotisch werden. Es ist vom Vorteil ein Taxi im Vorhinein zu ordern oder dieses von der Unterkunft aus organisieren zu lassen.

Busunternehmen für längere Distanzen sollten sorgfältig ausgewählt werden. Am besten fragt man die Einheimischen welche für die jeweilige Route zu empfehlen sind.

 

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